Eine Ode an den Fehler

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Fehler können einem Leid tun. Voller Optimismus und Hoffnung mit den besten Absichten gestartet werden sie verteufelt, beschimpft und wenn es irgendwie geht unter den nächsten Teppich gekehrt. Armer Fehler. Das hat er nicht verdient.

Wann haben Sie zuletzt einen Fehler gemacht? Welche Fehler haben Sie bereut, welche waren wertvolle Erfahrungen und welche Fehler haben sich als Gewinn herausgestellt? Keiner? Glaub ich Ihnen nicht. Bitte nochmal von vorne überlegen.

Wir alle machen Fehler. Jeden Tag. Gleichzeitig versuchen wir Fehler zu vermeiden sosehr wir nur können. Fehler sind gefährlich, wer Fehler macht ist ein Versager. Warum nicht mal andersrum? Wer Fehler macht erlebt mehr. Intensiver. Wer Fehler macht ist mutig. 

Fehler sind ein unverzichtbarer Teil des menschlichen Handelns. Ohne Fehler würden wir nichts lernen. Nicht zu laufen, nicht zu sprechen, nicht zu lieben. Wenn wir als Kind hinfallen, stehen wir so oft und so lange auf bis wir laufen können. Wir brauchen Fehler, um uns zu entwickeln. Was gibt es schlimmeres für ein Kind als Eltern, die es vor jedem Fehler bewahren? Alles was es noch nicht kann, nehmen Mama und Papa ihm ab. Die gut gemeinte Fürsorge ist oftmals eine Bremse der Entwicklung und des Selbstbewusstseins.

Studien belegen, dass die meisten Menschen Fehler nicht ertragen können, „weil sie irrtümlicherweise glauben, Fehler würden von Dummheit zeugen“, schreibt der Autor und Pulitzer-Preisträger Joseph Hallinan in seinem Buch „Lechts oder rinks: Warum wir Fehler machen“. 

Ein Fehler ist ein Versuch. Einer, der nicht funktioniert hat. Einer, der in einem anderen Kontext Erfolg haben könnte. Einer, aus denen wir Erfahrungen ableiten und mit diesem Wissen einen neuen Versuch starten können. Das Prinzip von try and error ist für die Hartnäckigen und für die Forscher, die sich erst zufrieden geben, wenn sie über eine Menge von Fehlern und eine kontinuierliche Annäherung zu einer Lösung kommen. Nur so hat die Menschheit gelernt zu fliegen.

Paradoxerweise können Fehler gerade dann entstehen, wenn wir sie vermeiden wollen. Grund dafür ist nicht selten ein ausgeprägter Perfektionismus. Der kann gerade in unerwarteten Situationen lähmen, so dass eine Entscheidung herausgezögert wird.

Wer wagt gewinnt. Und wer nicht wagt? Der verliert. Er verliert die Chance zu gewinnen. Eine Chance herauszufinden, was sich hinter dem Versuch verbirgt, sich überraschen zu lassen.

Fehler zeugen von Mut, von Handlungsfähigkeit, von Einsatz und vom Wunsch, etwas zu bewegen und etwas zu verändern. Fehler machen heisst, die Komfortzone zu verlassen, etwas zu tun, dessen Ergebnis wir nicht vorher schon kennen. Etwas, für das wir die totale Kontrolle und absolute Sicherheit zumindest temporär aufgeben müssen.

In den USA ist angesehen, wer fünf Firmen gegründet und fünfmal in den Konkurs geführt hat. Bei uns wird mit so jemand nicht mehr gesprochen, nur noch über ihn. Aber Fehlerkultur ist doch in. Geradezu ein Modewort in vielen Firmen. Das schnell vergessen wird, wenn der Fehler erstmal da ist. Fehler werden möglichst aus Angst vor Konsequenzen unter den Tisch gekehrt, statt anderen von seinen Erfahrungen zu berichten und gemeinsam weiterzukommen. 

Wir haben kein gegenteiliges Wort für Fehler. Am ehesten noch „Richtigkeit“ oder „Korrektheit“. Unsere Sprache ist defizitorientiert. 

Der argentinische Schriftsteller Jorge Luís Borges würde mehr Fehler machen. Leider ist er schon sehr alt, als ihm das klar wird. Er würde mehr riskieren, ein bisschen verrückter sein, mehr im Jetzt leben, vieles nicht so ernst nehmen, die totale Sicherheit aufgeben und mehr Barfuss laufen. Er würde nicht so perfekt sein wollen, hätte mehr echte Probleme als eingebildete. -> zum ganzen Gedicht.

Woher wissen wir eigentlich, dass ein Fehler ein Fehler ist, solange wir ihn noch gar nicht ausprobiert haben? Hält uns schon die Möglichkeit, dass es einer sein könnte vom Ausprobieren ab, ob es vielleicht keiner ist? «Man soll nicht», «Man tut das nicht», etc. prägen unsere Denkmuster. Aber wer ist eigentlich diese/r «man»? Ist «man» eine moralische Instanz? Wenn ja, wer hat sie geschrieben? Die Mehrheit, das kollektive Gewissen, ist sie empirisch gewachsen? Ist sie nur eine Möglichkeit oder gibt es ein klares richtig oder falsch? Man ist nicht «man»! Jeder sollte die Möglichkeit haben, Konventionen zu hinterfragen – sofern gesetzlich und moralisch vertretbar – und für sich selbst zu entscheiden, wie er/sie damit umgehen will. Das gehört für mich zu einem selbstbestimmten Leben. Und wenn es ein Fehler ist? Dann haben wir uns als Individuum gezeigt, nicht als Ausführungsorgan fremdbstimmender Vorgaben. Dafür können wir uns selbst Respekt zollen. Fehler zeugen von Stärke. Und steigern unseren Selbstwert.

Viele Fehler haben als schlimmste Konsequenz zur Folge, dass wir es beim nächsten Mal anders machen. Wir können uns überlegen, was die schlimmsten Folgen bei einem Scheitern sein können. Unsere Zweifel und Ängste zurückstellen, indem wir einfach nur mal so tun als ob wir etwas könnten oder so tun als wüssten wir, dass es kein Fehler ist. 

Vielleicht war es ein Fehler, mit diesem Blog eventuell jemanden zu motivieren, sich auf etwas einzulassen, das dann nicht funktioniert. Ich lasse mich überraschen. Und wünsche jedem, egal ob erfolgreich oder gescheitert, eine bereichernde Erfahrung!