Meine Quarantäne

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Ich schreibe gerade im Wohnzimmer. Wo sonst. Einzige Alternative ist das Bad. Ich bin in Quarantäne. Tag 5. Halbzeit. Durch die geschlossene Tür höre ich meine Partnerin und meine Kinder, 4 und 8. Sehen darf ich sie ausser beim vorbeihuschen mit Maske auf dem Weg ins Bad per facetime, skype, zoom und wie die neuen Errungenschaften der digitalen Welt so heissen. Deren Nutzen sieht nun endlich jeder. Danke an Euch, auch wenn Ihr eine ganz andere Motivation hattet. Und danke von unseren Kindern, die so Kontakt haben können mit ihren Freunden und Verwandten.

Es regnet in Strömen. In der Quarantäne finde ich das schön. Keine Wehmut des schönen Wetters wegen, der verpassten Baditage und Grillabende.

Unser soziales Netzwerk funktioniert. Nein, nicht Social Network. Das echte, das zum Anfassen. Nachbarn und auch weit entfernte Freunde fragen nach. Nach Gesundheit, ob sie einkaufen können oder sonst etwas helfen. Supermarktbringdienste und Online-Handel tun ihr übriges.

Auch die Schule kümmert sich und hat schon Unterlagen für’s Home-Schooling gebracht. Home-Schooling? Hatten wir das nicht gerade? Haben wir nicht auch gerade erst die fünfwöchigen Sommerferien geschafft? Früher haben wir uns auf Ferien gefreut. Heute ist es schön, mal Zeit für die Kinder zu haben, andererseits aber auch anstrengender als arbeiten. Und der Erholungsfaktor? Im Büro.

Aber wir haben ja noch die Grossmutter. Nachdem auch sie als aktives Mitglied der Risikogruppe endlich den für eine alleinstehende Person kaum erträglichen Lockdown hinter sich gebracht hat und sich auf ihre Kinder und Kindeskinder gefreut hat, sitzt auch sie wieder alleine in der Quarantäne. Immerhin ist sie negativ getestet.

Heute hat meine Schwester Geburtstag. Ein weiterer Fall für Skype oder Zoom. Denn sie lebt in den USA. Also gar keine Einschränkung. Wären wir eigentlich in den USA auch in Quarantäne? Vielleicht abhängig vom Wahlverhalten, dem Geschlecht oder der Hautfarbe. Im digitalen Orakel lässt sich keine klare Aussage finden.

Dumme Zeit zum selbständig sein. Netzwerkeln und Akquirieren funktionieren immer noch am besten im persönlichen Kontakt. Macht auch mehr Spass. Im Dialog entwickeln sich die Gespräche und auch der andere kann von sich erzählen. So schreibe ich einen Blog im Wohnzimmer ohne zu wissen, ob der je gelesen wird. Danke also wenn Sie es bis hierher geschafft haben. Ist nicht selbstverständlich in der heutigen Flut von News, Posts, Blogs, etc. Wollen Sie nicht vielleicht auch noch schnell ein Coaching oder eine Mediation bei mir buchen…? Könnte etwas Abwechlung gebrauchen. Ich weiss ja seit dem Lockdown dass beides wunderbar auch online funktioniert.

Ich hatte schon die tolle Idee, endlich mal die verzwickten Stellen eines Buchs über Autopoiese in Ruhe zu lesen. Oder die neu erstellte Schulung abzufotografieren für den Mailversand. Ist alles im Büro. Mist. Und ich wollte ja noch aufräumen und Fenster putzen. Weil meine Büromitnutzerin nächste Woche wieder kommt aus ihrer Mutterschaftspause. Hm, muss ich ihr noch schreiben. Wenigstens ist es kein Chaos. Habe in meiner letzten Festanstellung das Arbeiten mit Cleandesk und Desksharing gelernt. Und zu schätzen gelernt. Und beibehalten. Noch so eine Veränderung der letzten Jahre in der Arbeitswelt, die erstmal einen Sturm des Protestes ausgelöst hat und dann von den meisten geschätzt oder zumindest für eigentlich gar nicht so schlimm empfunden wird. Der Mensch geht bei Veränderungen tendentiell erstmal in den Widerstand und wenn überhaupt erst später in die Freude. Hat uns vermutlich überleben lassen.

Auf was freue ich mich eigentlich, wenn die Quarantäne vorbei ist? Mach ich dann irgendetwas anders? Und was ist eigentlich anders als während des LockDowns? Klar, der Bewegungsradius ist mit gerade mal 25m2 deutlich kleiner. Vielleicht das Gefühl, dass man (fast) der einzige ist. Anders als beim kollektiven Schicksal im Frühjahr. Das Wissen, draussen ist das Leben ohne grössere Einschränkung möglich. Ausser dass es gerade regnet. Anders mache ich, mich jeden Tag zu freuen, rausgehen zu können. Ja, ich freue mich sogar auf die Einschränkungen. Endlich wieder mit Maske im Bus und überhaupt mal in den Läden zu sein. Ich freue mich auch auf das ständige  Händewaschen und desinfizieren. Darauf, Leuten zu winken obwohl sie direkt vor mich stehen. Oder sie mit dem albernen Ellbogen-Bump zu begrüssen. Darauf, im Restaurant meine Daten hinterlassen zu dürfen. Als Beweis, dass ich wieder mitmachen darf beim öffentlichen Leben.

Allen, die die Coronamassnahmen für unzumutbar halten empfehle ich 10 Tage Quarantäne. Oder einen guten Coach. Geht schneller.